Nicht nur im Gitarrenunterricht, sondern ganz allgemein, wenn wir etwas Erlernen möchten, geht es darum möglichst optimal zu lernen.
Optimiert Lernen kann heissen:
- Dein Potential mit dem max. Lernfortschritt ausnutzen.
- Beim Lernen entspannt bleiben, denn Effizienz ist nur dann gesund, wenn nicht (mehr) Stress erzeugt wird. Es ist schliesslich ein Hobby!
Es gibt verschiedene Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie gut du deine Ziele erreichen kannst. Hier einige wichtige Punkte:
- Deine Übungszeit
- Deine Lerntechnik
- Auf dich angepasste Inhalte
- Sinnvoll strukturierte Inhalte
- Dein Talent
- Dein Alter
Bevor ich mich zum Thema dieses Blogeintrags, Punkt 2 (Deine Lerntechnik), wende, möchte ich mich vorher noch kurz den übrigen Punkten der obigen Liste zuwenden.
Um die Punkte 5 & 6 solltest du dich nicht kümmern, da du darauf keinen Einfluss hast. In der Praxis definieren sie dein Potential, aber wenn du 60 Jahre alt bist und keinerlei musikalische Erfahrung mitbringt, hast du wohl andere Ziele, als rasante Metalsolos mit 12+ Tönen pro Sekunde zu spielen.
Solltest du tatsächlich talentmässig zu den unteren 5 % gehören, ist es nicht einfach ein Instrument spielen zu erlernen – aber es kommt auch immer auf deine tiefere Motivation an – nicht wenige Menschen erlernen ein Instrument um sich vom Stress des Arbeitsalltags zu erholen – bzw. ihren Kopf mal in eine ganz andere Richtung zu gebrauchen. Am Rande bemerkt: Das Erlernen eines Instruments ist etwas vom Besten, was du deinem Gehirn zugute tun kannst.
Auf deine Übungszeit (Punkt 1) hast du einen gewissen Einfluss – hier kann dir auch dein/e Gitarrenlehrerin helfen die nötige Übungszeit (neben dem Unterricht) in etwa einzuschätzen. Übrigens: Gute Lerntechnik = Identisches Lernresultat bei weniger Zeitaufwand!
Zu Punkt 3 & 4: Z.B. bietet Youtube eine Fülle von Informationen, jedoch sind diese meist nicht oder nur lose strukturiert und auf keinen Fall auf dich individuell angepasst – und das Wichtigste, ein Feedback, bekommst du natürlich auch nicht. Um all das zu bekommen ist Privatunterricht bei einem motivierten und erfahrenen Gitarrenlehrer praktisch unumgänglich – natürlich ist das nicht die günstigste Methode. Aber das Erlernen eines Instruments ist i.d.R. ein Hobby – und in diesem Bereich kann man sein Geld für viel „dümmeres“ ausgeben. 🙂
Lerntechnik im Gitarrenunterricht und beim selbständigen Üben
Die Lerntechnik ist für mich im Unterricht das A & O – dies, weil Anpassungen in diesem Bereich sehr grosse Auswirkungen auf den Lernfortschritt haben können. Selten ist man (unter Anwendung der individuell passenden Lerntechni) nur 10 % schneller, viel öfters 50 % und in einigen Fällen mehrere 100 % – oder man wird aufgrund des schnelleren Eintretens des Erfolgs sogar von einer Hobbyaufgabe abgehalten.
Im Gitarrenunterricht „überwacht“ deine Lehrkraft eine Lerntechnik bzw. leitet dich in dieser an. Dabei spielt die Erfahrung der Lehrkraft eine wesentliche Rolle. Ich habe die Einstellung, dass es für alles (was gelingt oder nicht gelingt) einen Grund gibt – und wir uns diesem „einfach“ bewusst werden müssen. Wenn das geschieht, kann man an den einzelnen „Variablen“ deiner Lerntechnik schrauben und beobachten, ob diese eine Veränderung bewirken. Nachdem man das als Lehrer in tausenden Lektionen gemacht hat, bekommt man ein recht präzises Gefühl für Ursache und Wirkung.
Nachstehend möchte ich ein wichtiges Element bzw. eine Variable besprechen.
Gehirnauslastung beim Gitarrespielen
Situation: Du möchtest einen Abschnitt, sagen wir ein Intro eines Stücks erlernen – und nach 10 – 15 Minuten stellst du fest, dass du fast keinen Fortschritt machst – ev. stellt sich sogar schon eine gewisse Frustration ein.
Beobachtung: Du spieltst nicht fliessend, aber stockend, die Abläufe sind nicht ineinandergreifend und es sind Korrekturbewegungen notwendig / sichtbar und es wird versucht der Musiknotation durch dauerndes hin und herschauen zwischen Notation, rechte Hand und linke Hand zu folgen.
Fragen die dir bei der Analyse helfen
- Welche Techniken werden in besagtem Abschnitt verwendet?
- Wieviele der verwendeten Techniken kennst du schon?
- Wie gut kennst du die schon bekannten Techniken schon?
- Ist die Länge des Lernabschnitts gut gewählt‘ (zu lang?)
- Wie hoch ist deine gefühlte Gehirnauslastung wenn du versuchst den Abschnitt zu spielen? (0 – 10, wobei 10 völlig überlastet bedeutet)
- Spielst du den Abschnitt schon im Takt / im Tempo (mit Metronom) oder lose?
- Falls im Tempo: Wie ist deine bewusste Tempowahl? Ist diese realistisch?
- …
Analyse zu obigen Punkten:
- Diverse Techniken. Auch kurz nacheinander. Eine Technik ist praktisch unbekannt, zwei andere Techniken nur im Ansatz vorhanden.
- Die Länge sind 4 Takte. Dies ist eine willkürliche Wahl, weil das Intro eben per Zufall so lang ist. Die Länge ist also nicht im individuellen Lernsetting berücksichtigt, da sie keine bewusste Wahl darstellt.
- Die Gehirnauslastung ist theoretisch > 100 %. Wie ist das möglich, wenn wir nur ein Gehirn haben? Die Referenz ist hier, dass wir den Lernabschnitt im Takt (kann auch langsam sein) durchspielen können. Dies können wir nicht, weil es zu viele (bewusste) Aufgaben zum Erledigen gibt – und hier noch keine genügende Automatisierung antrainiert wurde – also wird der Abschnitt stockend gespielt. Wenn du (z.B.) 250 % Hirnkapazität hättest, würdest du es schaffen den Abschnitt langsam und im Takt durchzuspielen.
- Nein, wir haben dies ja schon erwähnt.
- Noch keine Tempowahl.
Massnahmen / Folgerungen aufgrund Analyse
A) Wenn Grundtechniken noch nicht einigermassen fliessend laufen, bietet es sich an technische Übungen, welche diese Techniken trainieren vorzuschieben. Falls aber zu viel Unbekanntes im Lernabschnitt bzw. im zu spielenden Musikstück vorkommt, sollte man das Musikstück noch nicht, bzw. zu einem späteren Zeitpunkt angehen. Als Resultat wird sich deine Gehirnauslastung bei der Ausführung dieser Techniken reduzieren.
B) Den Lernabschnitt zu spielen, kann als komplexe Aufgabe angeschaut werden. Komplexe Aufgaben können in simplere Aufgaben (hier drückt jetzt der IT’ler durch) 🙂 zerlegt werden, das nennt sich Projektmanagement. Hier lohnt es sich also, sich bewusst zu werden, welche Aufgaben im zulernenden Lernabschnitt überhaupt auf uns zukommen. Was ist warum schwierig? Wenn wir dieses Bewusstsein erlangt haben, können wir auch viel besser die einzelnen Aufgaben angehen, bevor wir sie dann beim fliessenden Spielen des Lernabschnitts alle zusammen erledigen. Es sind sich nicht alle Lernenden der manchmal vorhandenen Komplexität bewusst, was die Erfolgsaussichten schmälert, weil die Lerntechnik dann einfach überhaupt nicht darauf ausgelegt ist.
Wenn du Aufgaben in Teilaufgaben zerlegst, werden diese Teilaufgaben viel schneller automatisiert und die gefühlte Gehirnauslastung reduziert sich.
C) Einen kürzeren Lernabschnitt wählen. Es sollte möglich sein nach max. 5 Minuten Üben einen klaren Fortschritt wahrzunehmen. Falls dieser nicht eintritt, muss das Lernsetting angepasst werden.
Auch hier reduziert sich deine Gehirnauslastung wieder, das ist ja sehr verwandt mit B).
D) Lerne deine Gehirnauslastung abzuschätzen, alles was um die 9 – 10 ist, definieren wir als zu hoch, bzw. 10 führt zur Spielunterbrechnung, weil dein Gehrin einfach nicht nachkommt. Ist die Auslastung auf 8 – 9 führe Wiederholungen des kurzen Lernabschnitts durch. Entscheide hier, ob es gut wäre, nach jeder Wiederholung eine kleine „Verschnaufpause“, während dem sich dein Gehirn kurz erholen kann, einzulegen. (Dies ist z.B. der Fall, falls die erste (initiale) Wiederholung erfolgreicher verläuft, als Nachfolgende Wiederholungen), Wiederhole, bis die Gehirnauslastung sich reduziert. Manchmal ist es auch sinnvoll eine etwas längere Pause einzulegen, das kann im Bereich „in die Küche gehen und einen Kaffee zubereiten“ sein.
Kurze Pausen unterbrechen die Gehirnauslastung und das Gehirn kann nochmals an einem definierten Punkt einsteigen und wird nicht in die Überlastung laufen, weil es permanent eine schwierige Aufgabe lösen muss.
Bei etwas längeren Pausen helfen dir postmentale Prozesse (die im Hintergrund noch weiterlaufen) das soeben Gelernte zu vertiefen / zu konsolidieren. Ich sehe jede Woche in meinem Gitarrenunterricht die teils drastischen Wirkungen von Pausen!
E) Wenn du auch den kurzen Lernabschnitt nicht im Takt spielen kannst, führe einfach die Bewegungen aus, ohne auf den Takt zu achten. Tue das so lange, bis sich deine Gehirnauslastung spürbar reduziert. Denke hier auch daran mal eine kurze Pause, während der du dich ablenkst – bzw. an etwas anderes (wenn möglich Schönes!) denkst. Falls der Ablauf dann ins Rollen kommt: Spiele den gleichen Abschnitt im Takt.
Durch dieses „zeitliche“ stretchen hilft du deinem Gehirn die Aufgaben eben noch erledigen zu können, ohne in die Überlastung zu laufen.
Schaue bitte zum Thema „Lernen“ auch in mein Buch rein: