Viele Menschen, die sich entschliessen ein Instrument zu lernen fragen sich, ob sie denn genug Talent hätten dies zu erlernen.
Ich möchte diese Fragestellung in folgende Bereiche aufschlüsseln:
– Wie wichtig ist Talent?
– Was ist Talent?
Wie wichtig ist Talent?
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Es scheint mir, dass das Argument „zu wenig Talent“ gerade von uns Musiklehrern, sehr gerne Musiklernenden im (obligatorischen) Schulunterricht an den Kopf geworfen wird. Einerseits ist es ja sehr angenehm, sich als Lehrer seiner eigentlichen Arbeit zu verweigern und quasi nur die Schüler zu fördern, die zu den ca. 16 % deutlich mit überdurchschnittlich viel Talent gesegneten Schülern gehören. Diese Schüler einigermassen erfolgreich zu unterrichten, das schafft auch ein Lehrer, der eben in seiner Aufgabe (ein guter Lehrer zu sein) unterdurchschnittlich ist.
Andererseits sind Musiklehrer statistisch eben „überdurchschnittlich begabt“ – und nehmen aus diesem Grund also gerne sich selbst, bzw. ihresgleichen als „normal begabt“ wahr – dies ist nichts weiter als eine Art Wahrnehmungsverschiebung (für die Statistiker unter uns) von locker mal einer Standardabweichung! Vergleich: Mein IQ wäre 130 – und ich sehe alle anderen mit IQ <= 115 als untalentiert an.
Die von mir wahrgenommene Realität, die aus der Unterrichtserfahrung von einigen 100 Schülern und einer 5-stelligen Anzahl gegebener Lektionen besteht, sieht aber ganz anders aus: Bei ca. 1/6 der Schüler ist das Talent ein kritischer Faktor, der sich dann bei vielleicht einem 1/12 der Schüler so zeigt, dass sie/er das Instrument nicht erfolgreich erlernt / bzw. erlernen kann. In Prozenten gefasst betrifft dies also ca. 5 – 10 % der Menschen.
Fleiss und das innere Wollen, die Hingabe ist beim Erlernen eines Instruments viel wichtiger, als das (von uns ja gar nicht beeinflussbare) Talent.
Diese Hingabe, das erleben wollen, das machen wollen in Verbindung mit einer hohen Lerneffizienz, also einer meisterhaften Anwendung der richtigen Lerntechniken im richtigen Moment, mit gut gewählten Variablen (wie Spieltempo, Anzahl Wiederholungen, Pausen, Lernabschnitte, richtige und sinnvolle Korrekturen, an die Schüler angepasste Übungserweiterungen etc.) ist viel wichtiger als das Talent, das, wie schon gesagt, für uns sozusagen als „Konstante“ auftritt.
Zu hohe Ansprüche an uns selbst zu haben, ist ein weiterer negativer Punkt, der Übende in den Ruin, bzw. in die Resignation treiben kann. Ungeduld ist ein arger Mitspieler, der unter Umständen einen sehr negativen Einfluss auf unser Lernverhalten hat (jetzt und sofort alles können wollen, dabei aber qualitative Einschränkungen in Kauf nehmen).
Wie Du merkst, kommt der Begriff „Talent“ in diesem Artikel über „Talent“ gar nicht sehr häufig vor. Auch dies sollte für Dich ein deutlicher Indikator sein, der Dir hilft „Talent“ innerhalb Deiner musikalischen Entwicklung besser zu gewichten.
Das Antitalent
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Das universale „Antitalent“ ist kaum auffindbar. Meist handelt es sich um Teilbereiche der Musik, die unterentwickelt erscheinen. In den meisten Fällen kann man dieser Entwicklung jedoch nachhelfen.
Was ist Talent?
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Wenn wir schon über „Talent“ sprechen, sollten wir auch versuchen zu ergründen von was wir hier denn genau sprechen.
Ist es tatsächlich angeboren? Oder doch eher anerzogen?
Ich bin der Meinung, dass es so etwas wie angeborenes Talent wohl schon gibt – aber dieses Talent ist schlicht nicht nötig, um ein Instrument zu erlernen. Meiner Meinung nach ist dieses angeborene Talent auch nicht ein „Musik-Gen“, sondern viel mehr eine Struktur die diese Talente befähigt automatisch/intuitiv richtig zu handeln. Dies kann durch entsprechende erzieherische Massnahmen auch provoziert werden.
Oft kann ich schon festlegen, ob jemand gut werden kann/oder schon ist, wenn ich mit dieser Person auch nur ein Gespräch führe. Durch das Gespräch erfahre ich die Sichtweise der Person zur Musik. Ist es ein unbekanntes „Ding“ oder bestehen konkrete Beziehungen zur Musik? Wie ist die Person emotional in die Musik eingebunden?
Ich musste feststellen, dass Probleme in der Musik häufig auch Persönlichkeitsattribute der jeweiligen Person wiedergeben. Und genau dies ist für mich ein unglaublich spannender Aspekt: Wenn sich meine persönlichen Eigenschaften (negative und positive) auch in meiner Musik zeigen können, dann bietet mir die Musik eine echte Möglichkeit der Selbstentwicklung!
Was erzähle ich da überhaupt? Viele Menschen haben schon gelesen, dass die Musik charakterbildend ist/sein kann – und genau diese Aussage haben wir oben mit unserer eigenen Logik nachvollzogen!
Die Behauptung das uns die Musik perönlich weiterbringen kann, ist also nicht nur ein Resultat der Studien einiger weltfremder Musikwissenschaftler, sondern tatsächlich Realität.
Meine Essenz: Auch wenn sich eine Person (meist unbegründeterweise) für nicht talentiert hält, darf (und sollte) sie den Schritt zum Erlernen eines Instruments vollziehen, denn alleine die Chance sich persönlich zu entwickeln, bzw. sich wieder intensiver mit sich selbst auseinander zu setzen, ist zu verlockend, als dass man sie einfach ignorieren kann.